Das Kapitalgutpreismodell oder Preismodell für Kapitalgüter (Abkürzung CAPM von englisch capital asset pricing model) ist ein Kapitalmarktgleichgewichtsmodell, das die Portfoliotheorie um die Frage erweitert, welcher Teil des Gesamtrisikos eines Investitionsobjekts nicht durch Risikostreuung (Diversifikation) zu beseitigen ist und erklärt, wie risikobehaftete Anlagemöglichkeiten im Kapitalmarkt bewertet werden. Der Kern des CAPM, das Modell der Wertpapierlinie, beschreibt eine lineare Abhängigkeit der zu erwartenden Rendite einer Kapitalanlage von nur einer Risikoeinflussgröße (Ein-Faktor-Modell). Ziel des CAPM ist es letztlich, Gleichgewichtskurse für einzelne riskante Anlagemöglichkeiten (im Folgenden: Wertpapiere) im Portfoliozusammenhang unter Unsicherheit (Entscheidung unter Risiko) herzuleiten.
Das CAPM wird insbesondere für die Bestimmung risikogerechter Diskontierungszinssätze (Kapitalkosten) bei der Unternehmensbewertung verwendet (siehe den Bewertungsstandard des Instituts der deutschen Wirtschaftsprüfer, IDW S1). Empirische Untersuchungen zweifeln jedoch die Eignung des CAPMs an, die erwartete Rendite von Aktien zu prognostizieren und das bewertungsrelevante Risiko eines Bewertungsobjekts (z. B. eines zu bewertenden Unternehmens) adäquat zu erfassen (vgl. Abschnitt zur empirischen Überprüfung).
Das CAPM wurde von William F. Sharpe, John Lintner und Jan Mossin in den 1960er Jahren unabhängig voneinander entwickelt und baut auf der Portfoliotheorie von Harry M. Markowitz auf.
Gegenstand der Portfoliotheorie ist die Investitionsentscheidung eines risikoaversen Anlegers bei Auswahl aus risikobehafteten und risikolosen Wertpapieren. Unter der Normalverteilungsannahme für Wertpapierrenditen ist diese Entscheidung alleine von der erwarteten Rendite und dem Risiko der Wertpapiere abhängig. Dabei wird die erwartete Rendite aus dem Mittelwert, das Risiko aus der Standardabweichung vergangener Kursdaten abgeleitet. Grundgedanke der Portfoliotheorie nach Markowitz ist die Möglichkeit der Diversifikation durch Bildung von Wertpapierportfolien.
Das CAPM geht einen Schritt weiter und bestimmt theoretische Gleichgewichtskurse, die sich einstellen, wenn risikoaverse Marktteilnehmer entsprechend der Portfoliotheorie effiziente Portfolios zusammenstellen.
Die Preisbildung eines Wertpapiers hat Auswirkungen auf die Preisbildung der anderen Wertpapiere. Die Gleichgewichtspreise müssen daher simultan bestimmt werden.
Gleichgewichtspreise sind wichtig für aggregierte Risikozuschläge oder Risikoabschläge:
Die Vorstufe des CAPM ist das Modell der Kapitalmarktlinie (KML, englisch capital market line, CML), wohingegen das Modell der Wertpapiermarktlinie (WML, englisch security market line, SML) das eigentliche Kernmodell bildet. Das CAPM baut auf den gleichen Voraussetzungen auf wie die Portfoliotheorie. Hinzu kommen noch die stark vereinfachenden Annahmen des vollkommenen Kapitalmarkts, Risikoaversion und homogene Erwartungen der Anleger sowie normalverteilte Wertpapierrenditen.
Aus diesen Annahmen folgt, dass im Marktgleichgewicht sämtliche Anleger ein in gleicher Weise zusammengesetztes Portfolio halten, sofern risikobehaftete Wertpapiere und eine risikolose Anlage (der Kapitalmarkt) zur Verfügung stehen. Genauer gesagt hält jeder Anleger eine Mischung aus dem Marktportfolio M und der risikolosen Anlage. In diesem sogenannten Marktportfolio sind alle gehandelten risikobehafteten Wertpapiere im Verhältnis ihrer Marktwerte vorhanden. Die Annahme des Gleichgewichtszustands bedeutet: Wenn es nicht-effiziente Wertpapiere gäbe, dann würden sie verkauft und gegen effiziente Wertpapiere eingetauscht werden. Der Verkauf solcher Wertpapiere drückt deren Preis (falls die Wettbewerbsfähigkeitsbedingung nicht angenommen wird), lässt also die Rendite des betroffenen Wertpapiers steigen. Im Gleichgewichtszustand sind alle solchen Transaktionen bereits abgeschlossen, was bedeutet, dass es keine Wertpapiere mehr auf dem betrachteten Kapitalmarkt gibt, die nicht-effizient sind. Daher besteht das Marktportfolio nur noch aus effizienten Wertpapieren und muss daher selbst effizient sein.
Sind die erwarteten Renditen und die Risiken der einzelnen Wertpapiere bekannt, lässt sich auch die erwartete Rendite und das Risiko des Marktportfolios berechnen. Die erwartete Rendite des Marktportfolios wird in der Kapitalmarkttheorie als „Kapitalkosten unter Risiko“ oder auch „risikoadjustierte Kapitalkosten“ bezeichnet.
Durch die Möglichkeit, unbegrenzt risikolos Geld anzulegen oder aufzunehmen, kann der Anleger in einem nächsten Schritt je nach Grad seiner Risikoaversion die gewünschte Risikoposition durch Mischung der risikolosen Anlagemöglichkeit mit einer Anlage in das risikoeffiziente Marktportfolio (bzw. bei geringerer Risikoaversion durch Kreditaufnahme und Anlage in das Marktportfolio) erzeugen. Diese Aufteilung des anzulegenden Kapitals in ein stets identisch strukturiertes Marktportfolio unabhängig von der persönlichen Risikoneigung wird als Tobin-Separation oder „Two Fund Separation“ bezeichnet.
Um in dieser Modellwelt die erwartete Rendite bzw. den Kurs eines einzelnen Wertpapiers im Portfoliozusammenhang auf mathematisch-statistischem Wege herzuleiten, werden folgende Festlegungen getroffen:
Der Unterschied zwischen der erwarteten Rendite des Marktportfolios M („Kapitalkosten unter Ungewissheit“) und dem sicheren Zinssatz wird Marktrisikoprämie (MRP) genannt. Die Risikomenge eines jeden Wertpapiers in einem wohl diversifizierten Portfolio wird Beta () genannt. Das Risiko des Marktportfolios M selbst beträgt 1. Der -Faktor eines individuellen Wertpapiers ergibt sich durch die Methode der kleinsten Quadrate als der Quotient aus der stochastischen Kovarianz des betreffenden Wertpapiers zum Marktportfolio M und der stochastischen Varianz des Marktportfolios. Der Betafaktor bezieht sich ausschließlich auf das nicht weiter reduzierbare Risiko im Portfoliozusammenhang (das so genannte „systematische Risiko“) und stellt somit den maßgeblichen Beitrag zum Risiko eines jeden Portfolios dar.
Nach einer sich anschließenden mathematischen Optimumsbestimmung ergibt sich nun die fundamentale Gleichung des CAPM (die Wertpapierlinie):
wobei:
Durch die obige Gleichung lässt sich erkennen: Die erwartete Rendite des Wertpapiers i ist proportional zum Beta-Faktor des jeweiligen Wertpapiers.
Der Beta-Wert für die sichere Anlage ist:
Der Beta-Wert für das Marktportfolio beträgt:
Ebenfalls gilt, dass der Beta-Wert für das Marktportfolio, der gewichteten Summe der Betas der jeweiligen Aktien (z. B. Aktie A und Aktie B) entspricht:
Formel zur Berechnung des risikolosen Zinssatzes aus den anderen (bekannten) Parametern:
Die erwartete Rendite eines risikobehafteten Wertpapiers (zum Beispiel einer Aktie) setzt sich im Marktgleichgewicht zusammen aus dem risikolosen Zinssatz und einer Risikoprämie. Die Risikoprämie ist das Produkt aus dem Marktpreis für das Risiko und der Risikomenge der betrachteten Anlagemöglichkeit.
Dabei gilt: Je höher der Beta-Faktor eines Wertpapiers, desto höher fällt dessen erwartete Rendite aus und umgekehrt. Mit anderen Worten: Investoren sind nur dann bereit, ein Wertpapier mit einem hohen Risiko () zu halten, wenn eine entsprechend hohe Rendite zu erwarten ist.
Unter den gesetzten Annahmen einperiodiger Planung lässt sich für jedes Wertpapier die so ermittelte Rendite auf einfache Weise in einen Gleichgewichtskurs überführen. Der Gleichgewichtskurs dient als Maßstab dafür, ob ein einzelnes Wertpapier(portfolio) im Einklang mit seinem Risiko durch den Markt bewertet wird.
Eine alternative Formulierung dieser Renditegleichung des CAPM ist die folgende „-Schreibweise“
mit .
In dieser Formulierung wird der Beta-Faktor aufgespalten. Dabei wird deutlich, dass die erwartete Rendite gemäß CAPM abhängig ist von dem sogenannten Sharpe-Quotienten , dem „Marktpreis des Risikos“. Dieses ist gerade das Verhältnis der Marktrisikoprämie (MRP) zum Umfang des Marktrisikos, also die Mehrrendite pro Einheit Risiko. Der Risikoumfang des Bewertungsobjekts (unsichere Rendite des riskanten Wertpapiers) wird ausgedrückt durch , die Standardabweichung dieser Rendite. Das Produkt drückt den Risikoumfang aus, den das Bewertungssubjekt (unter Berücksichtigung der Risikodiversifikationsmöglichkeiten) zu tragen hat.
Die strengen Prämissen des CAPM mögen auf den ersten Blick unrealistisch erscheinen. Viele der Annahmen können jedoch gelockert werden, ohne die grundsätzlichen Aussagen des CAPMs in Frage zu stellen. Insbesondere in den 1970er und 80er Jahren wurden einige der ursprünglichen Modellannahmen durch realistischere ersetzt. Dabei zeigt sich, dass auch unter weniger strengen Annahmen die Kernaussage des Modells der Wertpapierlinie weiterhin Bestand hat. In zahlreichen empirischen Studien werden verschiedene Beobachtungen (Anomalien) dokumentiert, die nicht mit dem CAPM vereinbar sind. Hierzu zählen unter anderem der Valueeffekt, der Kleinfirmeneffekt, der Momentumeffekt und der Januareffekt. Siehe dazu auch das Fama-French-Dreifaktorenmodell. Allerdings hat bereits William F. Sharpe im Jahr 1964 geäußert, dass eine Theorie nicht in der Realitätsnähe ihrer Prämissen überprüft werden sollte, sondern in der Annehmbarkeit ihrer Implikationen. So liefert das CAPM nicht nur die bekannteste Erklärung für die Austauschbeziehung (Trade-off) zwischen Rendite und Risiko, sondern ist z. B. ein wichtiges Instrument bei der Performancemessung von Investmentfonds.
Speziell bei der Bewertung nicht börsennotierter Unternehmen sind bei der Bestimmung von Kapitalkosten (oder Risikoabschlägen) Einschränkungen der Anwendbarkeit des Kapitalgutpreismodells (CAPM) zu beachten.
Einer empirischen Überprüfung entziehe sich das CAPM deshalb, weil sich das Markt-Portfolio aller risikobehafteten Vermögenswerte nicht rekonstruieren lasse, kritisiert Roll. Aufgrund dessen greift man auf Teil-Portfolios zurück. Tests dieser Teil-Portfolios geben aber nur Aufschluss über die Risikoeffizienz dieser Teil-Portfolios. Überdies kann das CAPM dem Anspruch, die Börsenkurse in der Realität zu erklären, nicht gerecht werden, da sich für reale Kapitalmärkte kaum ein Gleichgewichtszustand postulieren lässt.
Problematisch für die empirische Überprüfung des CAPM ist des Weiteren, dass es manchmal als Vorhersage-Modell verwendet wird. Tests auf die Risikoeffizienz eines Portfolios werden allerdings nur auf der Grundlage von tatsächlichen Börsenkursen aus der Vergangenheit durchgeführt und berücksichtigen meist nicht die Erwartungshaltung von Investoren. Weitere Probleme bei der empirischen Überprüfung sind das individuelle Verhalten der Investoren, ihr Einfluss auf die Börsenkurse, Strukturveränderungen des Portfolios und Datenlücken. Nicht zu allen untersuchten Werten und Zeitperioden liegen tatsächlich Daten vor, so dass für fehlende Daten bestimmte Annahmen getroffen werden müssen.
Empirische Studien zum CAPM zeigen in der großen Mehrheit „unerwartete“, d. h. nicht durch Beta erklärbare Einflüsse auf die Aktienrendite, sogenannte „Anomalien“. So zeigte die Untersuchung von Banz (1981) den Unternehmensgrößeneffekt (englisch size effect). Die Studie von Basu (1977) findet, dass Aktien mit niedrigem Bewertungsniveau (KGV) überdurchschnittlich hohe, durch Beta des CAPM nicht erklärbare Renditen erwarten lassen.
Ausgehend von einer empirischen Studie 1992 entwickelten Eugene Fama und Kenneth French 1993 das Drei-Faktoren-Modell als prognosestärkere Alternative zum CAPM. Es bezieht sowohl das Kurs-Buchwert-Verhältnis („Value-Faktor“) als auch die Unternehmensgröße (Börsenwert) als Erklärungsfaktoren für die Aktienrenditen ein. Diese Ergebnisse werden für den deutschen Aktienmarkt bestätigt. Carharts (1997) daraus abgeleitetes Vier-Faktoren-Modell berücksichtigt den in vielen empirischen Studien aufgedeckten Momentum-Faktor als weitere Erklärungsgröße der Aktienrendite. Jegadeesh und Titman (1993 und 2011) belegen wieder eine ausgeprägte (risikoadjustierte) Outperformance von Momentum-Anlagestrategien. Aktien mit der höchsten Rendite in den letzten drei bis zwölf Monaten zeichnen eine signifikant überdurchschnittliche Rendite in den darauf folgenden drei bis sechs Monaten.
Walkshäusl (2012) zeigt die Existenz einer signifikant negativen Rendite-Risiko-Beziehung für den Aktienmarkt und stellt damit eine zentrale Implikation des CAPM in Frage: mehr Risiko führt zu einer höheren erwarteten Rendite. Es zeigt sich sogar, dass Aktien mit niedrigerer Volatilität auch ein sehr niedriges Beta und gleichzeitig ein sehr deutlich positives Alpha aufweisen, während die renditearmen Aktien mit hoher Volatilität einen Beta-Faktor größer Eins und negatives Alpha aufweisen.
Ballwieser sieht das CAPM als „alles andere“ als empirisch bestätigt und verweist auf eine entsprechende Aussage von Kruschwitz, S. 227: „Vor dem Hintergrund der zahlreichen und durchaus widersprüchlichen Tests muss wohl die Schlussfolgerung gezogen werden, dass das CAPM heute nur noch geringe empirische Unterstützung findet. Die Darstellung hat weiter gezeigt, dass bis jetzt noch kein ‚wahrer Test’ des CAPM bekannt ist.“