Das Systemrisiko (systemische Risiko) ist ein Risiko, das die Funktion oder das Fortbestehen eines ganzen Systems beeinträchtigen kann. Das Systemrisiko ist zu unterscheiden von spezifischen Risiken, von denen immer nur bestimmte Systemteilnehmer betroffen sind, ohne das System als Ganzes zu gefährden.
Systemische Risiken sind inhärent in allen komplexen technischen wie organisationalen Systemen vorhanden und sind aufgrund undurchschaubarer Wirkungszusammenhänge im System nur schwer prognostizierbar (vgl. Charles Perrow, „Normal Accidents“).
In der Finanzwirtschaft besteht das systemische Risiko in der Gefahr, dass der finanzielle Zusammenbruch eines Marktteilnehmers auf andere, originär rechtlich und wirtschaftlich unabhängige Marktteilnehmer übergreift und letztlich den funktionellen Zusammenbruch wesentlicher Teilbereiche oder des gesamten Finanzsystems bewirken kann. Systemisches Risiko ist aus volkswirtschaftlicher Sicht ein negativer externer Effekt der Finanzierungstätigkeit an den Kapitalmärkten. Jede nicht nur lokale Finanzkrise entsteht durch die Realisierung systemischen Risikos. Dieser Wirkungseffekt setzt ein Initialereignis sowie Übertragungskanäle voraus.
Ausgangspunkt bei der Realisierung systematischer Risiken ist stets ein von den Marktteilnehmern unerwartetes Initialereignis. Es ist regelmäßig bei (einem) einzelnen Marktteilnehmer(n) angesiedelt. Adverse Schocks, die eine Volkswirtschaft als ganzes Treffen, haben lediglich vorbereitende Wirkung dergestalt, dass Anpassungsdruck entsteht, den einige Marktteilnehmer nicht in der notwendigen Zeit bewältigen können. Auch andere Ereignisse (z. B. Bilanzfälschung, Bekanntwerden von gravierenden (unabsichtlichen) Fehlbewertungen), die die Vermögens- Finanz- und Ertragslage eines Marktteilnehmers wesentlich und nachhaltig belasten, weil sie zu massiven Forderungsabschreibungen bzw. Wertberichtigungsbedarf führen, sind taugliche Initialereignisse.
Die wirtschaftlichen Wirkungen von Initialereignissen können zunächst über bestehende Rechtsbeziehungen zwischen den Marktteilnehmern - insbesondere Vertragsbeziehungen - übertragen werden. Verträge, die künftige Leistungen zum Gegenstand haben, bergen stets das Risiko, dass eine Vertragspartei zum vereinbarten Leistungszeitpunkt die Leistung nicht erbringen will oder kann (Gegenparteirisiko bzw. Kreditrisiko). Für den Vertragspartner entsteht dann Wertberichtigungsbedarf, der sich in der Bilanz ergebniswirksam in Form eines Verlustes auswirkt. Mit steigenden Forderungsbeträgen erhöht sich die Bedeutung dieses Übertragungskanals.
Daneben bestehen informationelle Übertragungskanäle. Hier ziehen Anteilseigner und Gläubiger (und bei Kreditinstituten auch: Einleger) aufgrund des Ausfalls eines Marktteilnehmers Rückschlüsse auf die finanziellen Auswirkungen für ihren Vertragspartner. Bei unvollständige Information schließen sie Wissenslücken durch (pessimistische) Erwartungsbildung und meinen, einen wirtschaftlichen Zusammenhang zum ausgefallenen Marktteilnehmer zu erkennen, obgleich dieser Zusammenhang objektiv nicht zwingend bestehen muss. Anknüpfungspunkt ist oftmals die Ähnlichkeit des Geschäftsmodells
Dieser Übertragungskanal kann auch durch Herdenverhalten gespeist werden, bei dem uninformierte Akteure das uninformierte Handeln anderer als informiertes Handeln (fehl)interpretieren und ihr eignes Handeln daran ausrichten. Auch der flächendeckende Vertrauensverlust der Marktteilnehmer untereinander, der am Markt in eine Liquiditätskrise münden kann, lässt sich – zumindest in der Frühphase – als eine Art des Herdenverhaltens interpretieren.
Finanzmarktteilnehmer unternehmen große Anstrengungen, um spezifische Risiken der eigenen Risikotragfähigkeit anzupassen. Sie vermeiden Klumpenrisiken und diversifizieren Risiken in ihrem Portfolio (vgl. Diversifikation). Durch geschickte Kombination der Einzelrisiken in einem Portfolio kann das Gesamtrisiko des Portfolios (vgl. Portfoliotheorie) bis auf ein nicht diversifizierbares Restrisiko abgesenkt werden. In der Portfoliotheorie wird hierfür auch der Begriff „Systematisches Risiko“ verwendet.
Marktteilnehmer und Aufsichtsbehörden in aller Welt haben großes Interesse daran, systemische Risiken verlässlich zu messen. Die qualitativen und quantitativen Methoden stecken indes noch in den Kinderschuhen. Kernproblem ist die Komplexität eines sich stetig wandelnden Wirtschaftsgeschehens: Vertragsbeziehungen werden im Zeitverlauf eingegangen und enden; Erwartungen anderer Marktteilnehmer sind stark situativ und nur schwer zu prognostizieren. Gängige Messversuche können daher nur eine vage Annäherung an das tatsächlich bestehende Risikoexposure leisten: